Wie an der dritten Follow-up Veranstaltung versprochen, ist seit heute auf unserer Homepage das sehr eindrückliche Interview mit Mizgin Jehja, einer Verantwortlichen vor Ort, veröffentlicht, die selber ein Flüchtling aus Kobani ist.
Mizgan Jehja , Betreuerin des Flüchtlingslagers Arin Mirxan (Foto: Ismael Taisch, 12.10.2015)
Ein Interview von Ismael Taisch, Vorstandsmitglied von ‚Gemeinsam für Kobanî‘, mit Mizgîn Jahja, Betreuerin des Flüchtlingslagers Arin Mirxan in Suruc
Seitdem Kobani vom sogenannten IS befreit worden ist, hat sich die Situation in Suruc rasch verändert: Viele Flüchtlinge sind nämlich so schnell wie möglich wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Heute leben im Flüchtlingslager Arin Mirxan etwa noch 70 Familien. Ich habe für eine Woche die Leute im Lager besucht und konnte mit den verantwortlichen Personen die Situation vor Ort besprechen, um zu schauen, wo es in Zukunft am meisten Hilfe braucht.
Ich habe mit Mizgin Jehja, Betreuerin des Camps, gesprochen, die selbst Flüchtling aus Kobanî ist.
Ismael Taisch: Wie heisst du und was machst du hier in diesem Camp?
Mizgîn Jahja: Mein Name ist Mizgan Jehja und ich betreue dieses Camp. Ich bin selber Flüchtling und arbeite freiwillig hier.
Wie viele Familien leben hier in diesem Camp?
Hier sind etwa 500 Einwohner, es sind 70 Familien.
Kommen sie alle aus Kobani?
Die Mehrheit kommt aus Kobani, aber es sind auch Familien aus Al-Hamah, einer arabischen Stadt im Süden von Syrien, hier.
„Wir wissen selbst, was es bedeutet aus der Heimat zu flüchten und eine Minderheit zu sein.“ — Mizgîn Jahja, Betreuerin des Flüchtlingscamps Arin Mirxan in Suruc
Wie geht es den arabischen Flüchtlingen hier in einer kurdischen Stadt unter so vielen kurdischen Flüchtlingen?
Ich hoffe es geht ihnen gut, wir behandeln sie wie unsere Gäste, und ihr Wohlbefinden ist mir als Betreuerin sehr wichtig. Die anderen aus dem Team sehen das genau so, deshalb kann ich sagen, dass es uns gelungen ist, dass sich die Flüchtlinge bei uns wohl fühlen. Wir wissen selbst, was es bedeutet aus der Heimat zu flüchten und eine Minderheit zu sein.
Wie geht es euch allgemein hier in diesem Camp?
Gut, kann ich sagen. Es bleibt jetzt nur noch die Rückkehr in die Heimat.
Wieso gehen sie dann nicht zurück?
Ich glaube es gibt verschiedene Gründe. Für einige, die aus dem Grenzgebiet kommen, ist die Sicherheit noch immer nicht gewährleistet. Es gibt auch Leute, die keine Wohnmöglichkeiten mehr haben. Und andere sind im Moment hier noch in ärztlicher Behandlung und in ihrer Heimat haben sie nicht die Möglichkeiten dazu.
„Durch diesen Krieg ist vieles zerstört worden“ — Mizgîn Jahja, Betreuerin des Flüchtlingscamps Arin Mirxan in Suruc
Geht es ihnen hier momentan immer noch besser als in ihrer Heimat?
Wir alle wollen zurück, das ist keine Frage. Uns geht es nirgendwo besser als in unserer Heimat. Das Problem ist, dass es dort noch immer Schwierigkeiten gibt. Durch diesen Krieg ist vieles zerstört worden. Stromversorgung, Unterkünfte und Gesundheitsversorgung sind noch nicht wider überall vorhanden. Dazu kommt, dass viele Leute aus dem Grenzgebiet stammen und eine jetzige Rückkehr noch zu gefährlich wäre. Hier dagegen sind sie gut versorgt und können sich sicher fühlen.
Was schätzt du, wie lange bleiben sie noch hier?
Höchstwahrscheinlich bis Ende Jahr, oder bis Januar.
Kannst du mir sagen was die Versorgung der Leute alles beinhaltet?
Ich betreue dieses Lager wie meine eigene Familie, es ist mir sehr wichtig, dass alle gut versorgt sind. Die Leute hier können sich frei bewegen, sie können raus und rein wann und wie oft sie wollen. Momentan ist Erntezeit, deshalb gehen die meisten Männer vom Morgen bis am Abend arbeiten. Es ist sehr wichtig, dass die Männer wieder arbeiten können. Sie kommen am Abend stolz mit etwas Geld nach Hause, und kaufen ihren Frauen und Kindern manchmal was Kleines vom eigenen Geld, so kehrt eine gewisse Normalität in die Familie zurück. Ich motiviere alle, auch die jungen Männer zur Arbeit zu gehen. Wir haben hier Strom und sauberes Wasser. Ausserdem bekommen die Leute täglich frisches Brot und alle 15 Tage Lebensmittel wie Erbsen, Bohnen, Linsen, Reis, Bulgur, Öl, Tomatenpüree, Oliven, Käse etc. Einmal in der Woche gibt es Milch für die Kinder. Tee, Zucker und Hygieneartikel, werden einmal im Monat verteilt.
Gibt es Medikamentenbedarf? Und gibt es hier ein Spital oder ähnliche Einrichtungen?
Nein, hier gibt es kein Spital. Alle im Camp haben aber eine Rojava-Karte, mit der werden sie im Spital in der Stadt kostenlos behandelt.
„Ohne Freiwilligeneinsatz und Spendengeldern aus dem Ausland und aus kurdischen Nachbargemeinden wäre es niemals möglich, die Flüchtlingssituation zu meistern.“ — Mizgîn Jahja, Betreuerin des Flüchtlingscamps Arin Mirxan in Suruc
Es ist beeindruckend wie das alles organisiert ist und gut funktioniert. Darf ich fragen, wie das alles finanziert wird?
Die Stadt Suruc (HDP/Maly Gel) organisiert das alles. Ohne Freiwilligeneinsatz und Spendengelder aus dem Ausland und aus kurdischen Nachbargemeinden wäre es allerdings niemals möglich die Flüchtlingssituation zu meistern. Die Kosten sind viel weniger geworden als zu Beginn, aber die HDP/ Maly Gel ist weiterhin verantwortlich.
Kommen heute gar keine Spendegelder, Unterstützung aus dem Ausland oder freiwillige Helfer zu euch ins Lager?
Wie ich schon sagte, ohne Unterstützung wäre es nie möglich gewesen so viele Flüchtlinge zu versorgen. Heute ist die Mehrheit von ihnen schon zurückgekehrt. Die meiste Unterstützung von Freiwilligen und ein Grossteil der Spendengelder gehen direkt an den Wiederaufbau in der Heimat. Es ist sehr wichtig, dass der Aufbau in der Heimat vorankommt, darin liegt unsere Zukunft. Trotzdem bekommen wir ab und zu kleine Geldspenden von Bewohnern der Stadt Suruç. Auch aus Deutschland kam vor kurzem eine Gruppe und kaufte für die Frauen und Kinder Kleider und Schuhe ein.
Ihr habt hier also das Nötigste was ihr braucht?
Es gibt hier einige Familien, die meiner Meinung nach etwas mehr Unterstützung gebrauchen können. Wenn ihr was zum verschenken habt, dann könnt Ihr es an diese Familien geben. Das ist in diesem Fall wie eine kleine Zusatzfreude. Wo ihr aber wirklich helfen könnt ist beim Wiederaufbau. Hier geht es uns allen gut, aber wir wollen in die Heimat zurück und dort gibt es noch viel zu tun.
Darf ich dir noch paar persönliche Frage stellen?
Ja, sicher.
Seit wann machst du diese Freiwilligenarbeit?
Seit wir hier sind, also länger als ein Jahr.
Arbeitest du jeden Tag?
Ja, aber seit alles etwas routinierter geworden ist, mache ich hin und wieder einen Tag frei, aber bin immer erreichbar, auch am Abend wenn ich zuhause bin.
„Ich habe nie daran gedacht, diese Tätigkeit aufzugeben, nur weil ich kein Geld dabei verdiene.“ — Mizgîn Jahja, Betreuerin des Flüchtlingscamps Arin Mirxan in Suruc